Stress durch Beruf und Familie: „Immer muss ich die Blöde sein!“

Wodurch der Stress durch Beruf und Familie noch verschärft werden kann, zeigt das Beispiel von Frau R.

Völlig genervt und erschöpft saß Frau R. bei mir und berichtete vom letzten Streit mit ihrem Mann. Es ging wieder einmal um seine Rolle als Ehemann und Vater. Frau R. fühlt sich von ihrem Mann allein gelassen was die Erziehung der Kinder und die Organisation des Alltages betraf.

Frau R. ist Lehrerin, ihr Mann Geschäftsführer eines mittelständischen Betriebes und beide sind sehr engagiert. Sie haben zwei Kinder, zwei Hunde und zur Verstärkung seit knapp einem Jahr ein Au pair. An für sich ist alles sehr gut organisiert. Herr R. bringt morgens die Kinder in die Kita, das Au pair kümmert sich um die Hunde und hilft im Haushalt. Nachmittags holt Frau R. die beiden Jungs aus der Kita ab.

In dem Streit zwischen den Eheleuten ging es diesmal um einen Streit zwischen den Kindern. Frau R. saß an ihren Unterrichtsvorbereitungen, als sie die Kinder heftig zanken hörte. Sofort sprang sie auf und rannte in die Küche, um zu sehen, was da los war. Die beiden Jungs beschimpften und schubsten sich am Tisch, während Herr R. noch letzte Vorbereitungen für das Abendbrot traf. Das Au pair war noch in ihrem Zimmer. Frau R. trennte die beiden Streithähne und schimpfte dann mit ihrem Mann, warum dieser den Jungs erlauben würde, sich so zu verhalten. Danach führte sie Einzelgespräche mit den Kindern, mit dem Au pair und zu guter Letzt noch einmal mit ihrem Mann. Völlig genervt und müde ging sie schließlich wieder an ihre Arbeit.

So sei es immer, behauptete sie: „Immer muss ich die Blöde sein, die meckert! Ich bin auch immer die, die allen sagen muss, was zu tun ist. Jetzt muss ich in der Schule schon so sein und zu Hause nun auch.“

Viele Gespräche hatte das Ehepaar R. bereits geführt, in denen sich Herr R. auch immer sehr einsichtig und verständnisvoll zeigte und Besserung versprach. Geändert hatte sich jedoch gar nichts.

Die Analyse ihres sozialen Systems in Form der Aufstellung ihrer Familie brachte für Frau R. erstaunliche Erkenntnisse. Dadurch, dass sie zum ersten Mal „von außen“ sich selbst und ihre Familie betrachten konnte, wurde ihr nicht nur ihre eigene Rolle bewusst. Auch, wie sich diese Rolle auf ihr Umfeld auswirkte, wurde ihr auf direkte Weise plötzlich ganz deutlich. Frau R. brauchte dann erst mal einen Moment, dies zu verdauen. Was ihr besonders zu schaffen machte, war weniger die Erkenntnis, dass sie sich zu sehr in jede Situation einbrachte. Vielmehr erschien es ihr als unglaublich, wie sehr sie damit das Verhalten ihrer Familie beeinflusste.

Besonders Frauen haben oft das Gefühl, für alles verantwortlich zu sein und das bringt sie bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie schnell an ihre Grenzen. Diese Frauen haben wie Frau R. den Anspruch, nicht nur im Job alles im Griff zu haben, sondern auch zu Hause dafür sorgen zu müssen, dass alles reibungslos klappt. Aussagen wie z.B.: „Wenn ich es nicht mache, macht es keiner“, „mein Mann kommt ja nicht auf die Idee, es so und so zu machen“ oder „du siehst ja, da lass ich einmal los und schon klappt gar nix mehr“ sind typisch und fungieren wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Die Verantwortung mal abzugeben und loszulassen, fällt vielen sehr schwer. Zu groß ist die Angst, dass das vielleicht entstehende Chaos dann nicht mehr zu bewältigen ist oder irreparable Schäden entstehen. Auch das Bild, welches man von sich und seinen Familienmitgliedern hat, kann ein Loslassen verhindern.

Für Frau R. war die Familien-Aufstellung sehr hilfreich. Auch, wenn sie anfangs sehr skeptisch war, ermöglichte ihr diese intensive Erfahrung nach und nach immer mehr Verantwortung abzugeben. Die ständig präsente innere Anspannung verschwand allmählich.

Mittlerweile kann sie mit Freude berichten, dass sich ihr Familienleben komplett entspannt hat und sogar die Kinder sich immer selbstständiger entwickeln. „Natürlich zanken sich meine beiden Racker hin und wieder. Aber das kann ich jetzt als normal und mit Humor sehen.“

Dadurch, dass sie nun Verantwortung mal übertragen kann und sich nicht mehr mit allem beschäftigen muss, hat sie viel mehr Kraft, den Spagat zwischen Job und Familie zu meistern.

Mehr über die Analyse des sozialen Systems erfahren Sie hier: Familien-Aufstellung.

PraxisTGK
 

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